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Titel
Die Sukzession von Weltreichen. Zu den antiken Wurzeln einer geschichtsmächtigen Idee


Autor(en)
Oellig, Marie
Reihe
Oriens et Occidens
Erschienen
Stuttgart 2023: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
714 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Schleicher, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Im frühen Christentum erlangte die Sukzessionstheorie, also die Vorstellung, dass die Herrschaft über große Teile der Welt nach einer gewissen Zeit von einem imperialen Inhaber auf den nächsten übergeht, große Bedeutung. In eschatologischer Hinsicht waren die frühen Christen der Auffassung, dass nach der Herrschaft des letzten der Weltreiche, das zunächst mit dem Imperium Romanum identifiziert wurde, die Welt zwangsläufig zu Ende gehen müsse. Die Sukzessionstheorie ist dem Rezensenten bisher bei der Beschäftigung mit Themen der Spätantike begegnet, einer Zeit, in der das Ende der Welt unmittelbar bevorzustehen schien. Von Bedeutung ist sie von Okzident bis Orient, so etwa in den Geschichtswerken des Orosius (z.B. 1, 19; 2, 1) oder des Armeniers Pseudo-Sebeos (p. 141f. / 105 Greenwood).

Die Entstehung und Genese dieses Begriffs zu untersuchen, ist das Ziel von Oelligs Arbeit. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Provenienz: Ist das Konzept der Sukzession von Weltreichen orientalischen oder griechischen Ursprungs und wo genau können einzelne Aspekte ihren Ausgangspunkt haben? Wenn im Titel von Wurzeln die Rede ist, so ist dies durchaus wörtlich zu nehmen, denn bis der Leser zum ersten Mal auf die Sukzessionstheorie als solche stößt, sind einige hundert Seiten zu bewältigen.

Nach einer Einleitung (S. 11–29), in der verschiedene Sukzessionsschemata bis zur Spätantike angesprochen werden, gliedert sich das Buch in drei Hauptteile. Der bei weitem umfangreichste Teil I (S. 31–387) beschäftigt sich mit der Herkunft des Sukzessionsschemas Assyrer-Meder-Perser. Hier werden dem Leser die für das theoretische Verständnis notwendigen Grundlagen vermittelt: Wie sahen die Orientalen die Welt? (Kapitel 2.1) Wie verstanden sie Geschichte? In welchem Verhältnis stand das jeweilige Königtum zum Göttlichen? (Kapitel 2.2) Im letzten Satz dieses Kapitels (S. 88) klingt zum ersten Mal an, warum die Beschreibung der Konzepte des orientalischen Königtums für die Sukzessionstheorie von Bedeutung ist. Kapitel 2.3 (S. 89–115) greift wieder weit zurück und behandelt die Entwicklung der Herrschaftsformen im frühen Mesopotamien, die Herrschaftsorganisation einzelner Stadtstaaten und Fragen der überregionalen Herrschaftsagglomeration. Oellig bietet hier eine gute Darstellung der Entstehung und Ausprägung monarchischer Strukturen in Mesopotamien. Schließlich wird der Übergang der Herrschaft von einer ‚Stadt‘ auf eine andere behandelt, ohne jedoch auf die Relevanz für die Sukzessionstheorie einzugehen. Kapitel 2.4 (S. 116–138) führt den historischen Überblick in die akkadische Zeit fort. Themen sind hier etwa die Erweiterung des geographischen Horizonts sowie die Herausbildung einer Königsideologie. Kapitel 2.5 (S. 138–165) beschreibt, wie einige akkadische Könige (Sargon, Naramsin) zu Mythen wurden. Erstmals wird nun auch die Sukzessionstheorie angesprochen (S. 148). Es wird gezeigt, dass sich die Herrscher von Mari in die imperiale Tradition Akkads stellten, während die Herrscher von Babylon dies gerade nicht taten (S. 154f.). Die Hethiter orientierten sich am akkadischen Herrschaftsverständnis und gaben im Zuge ihrer Expansion der ‚Weltreichsidee‘ Modellcharakter (S. 157f.). Erstmals taucht der Rekurs auf die Abfolge von ‚Großreichen‘ auf, um die Herrschaft über Nordsyrien zu legitimieren.

Mit der ‚Weltherrschaft‘ der Assyrer befasst sich Kapitel 2.6 (S. 166–200). Zentral ist hier die Darstellung der strukturellen Grundlagen des Staatswesens (S. 171–199). Dabei geht es vor allem um Herrscherideologie, geographische Horizonte und religiöse Entwicklungen. Die Könige hatten den göttlichen Auftrag, das Reich in die Welt auszudehnen und zu missionieren. Sie beanspruchten daher die Herrschaft über den Kosmos und die Welt. Mit zunehmenden Eroberungen driften ideologische und reale Weltvorstellungen auseinander, es entwickelt sich eine besondere assyrische mental map. Kapitel 2.7 (S. 200–227) behandelt den Aufstieg der neubabylonischen Dynastie. Oellig spricht hier von der ‚Weltreichsidee‘ (S. 212). Die Herrscher standen in assyrischer Tradition und folgten den imperialen Vorbildern. Kapitel 2.8 behandelt die Achämeniden (S. 228–275). Der Geschichte des Reiches bis zu den Perserkriegen (S. 228–231) folgt die Darstellung der elamischen Grundlagen des Staatswesens (S. 232–235). Weitere Themen sind die Genese der Perser und der Dynastie der Achämeniden (S. 235–243) sowie Herrschaftsideologie und göttliche Legitimation (S. 252–259). Die Königstitulatur und das imperiale Konzept wurden von Uratu übernommen. Der Perserkönig ist Universalherrscher, unter den Achämeniden entwickelte sich eine iranische Identität im Reich (S. 264f.).

Bietet das Buch bisher eine spannende Einführung in die Geschichte und Strukturen des Alten Orients, so beginnt mit Kapitel 3 (S. 276–287) das eigentliche Thema der Untersuchung: Ausgangspunkt ist die Darstellung der Kontakte zwischen Orientalen und Griechen (S. 280–287). Kapitel 3.1 (S. 288–351) untersucht die Sukzessionstheorie bei Herodot. Themen sind hier Quellen und Zeithorizont des Historikers (S. 288–296). Es wird gezeigt, dass Herodot für seine Orientbeschreibungen auf das ‚zeitgenössische Diskurswissen‘ zurückgreift, das die Griechen über das Perserreich und seine Vorgänger besaßen (S. 298). In diesem Diskurswissen war eine reiche Kenntnis der persischen Reichsideologie enthalten (S. 299–305). Umgekehrt verarbeiteten aber auch die Achämeniden griechische Traditionen (S. 306f.). Es folgt die Untersuchung des eigentlichen Sukzessionsgedankens (S. 317–332), der erstmals bei Herodot formuliert wird. Oellig kommt zu dem Ergebnis, dass Herodot nur unklare Vorstellungen von den mesopotamischen Reichen besaß. Anschließend wird das bei Herodot wichtige medische Element historisch untersucht (S. 332–351). Ferner fragt Oellig nach Ähnlichkeiten zwischen Herodots Sukzessionstheorie und Texten aus der Zeit Nabonids von Babylon (S. 347f.). Die Reflexion historischer Ablösungsprozesse findet sich zwar auch dort, aber die Theorie der Sukzession von Großreichen sei genuin herodoteisch. In Kapitel 3.2 (S. 351–377) untersucht Oellig den Sukzessionsgedanken bei Ktesias von Knidos. Herrschaft erscheint hier als feste Größe, die jeweils nur den Träger wechselt (S. 359f.). Ktesias postuliert einen direkten Zusammenhang zwischen Weltherrschaft, Dekadenz und Sukzession (S. 362–377). Schließlich stellt Oellig fest, dass Ktesias Elemente der altorientalischen Überlieferung verarbeitet (S. 370) und dass bei ihm die Abfolge der Reiche deutlicher als bei Herodot hervortritt (S. 374).

Teil II (S. 389–523) beschäftigt sich mit der Erweiterung des Konzepts in hellenistischer Zeit. Das Kapitel über Forschungsstand und Quellenlage (S. 391–399) bietet einen kurzen historischen Überblick sowie zwei Haupttheorien zur Entstehung des Vier-Reiche-Schemas im Buch Daniel. Kapitel 2.1 (S. 400–414) behandelt die Entstehungsgeschichte des Danielbuches, aber auch Forschungsfragen, die wenig mit der Sukzessionstheorie zu tun haben, so etwa die Motive des Makkabäeraufstandes (S. 403f.). Erstmals erscheint die Vorstellung einer von Gott geleiteten Weltgeschichte (S. 410). Die Autorin arbeitet Bezüge zwischen Daniel und Herodot heraus und plädiert für eine Übernahme der Theorie dieses Historikers (S. 413). Anschließend werden heilsgeschichtliche Themen erörtert (S. 414–439). Wieder zeigen sich Bezüge zu Herodot, aber auch zur orientalischen Tradition. Mit Kapitel 3 (S. 440–523) geht die Autorin zum säkularen Vier-Reiche-Schema über. Beginnend mit Alexanders Motiven der Reichsbildung über seine pro-iranische Politik bis hin zum Verhältnis zum assyrischen Königtum werden zahlreiche Themen behandelt. Oellig postuliert, dass die hellenistische Sukzessionstheorie nicht von den Achämeniden übernommen worden sein könne (S. 451). Bei den Alexanderhistorikern sieht sie Anklänge an Herodot (S. 461). Ausführlich wird schließlich das Verhältnis Alexanders zu Babylon beleuchtet (S. 461–471).

Im Kapitel 3.2 (S. 472–523) wendet sich die Untersuchung insbesondere den Seleukiden zu. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass das hellenistische Königtum über Asien eng mit dem Sukzessionsgedanken verbunden war. Mit Hilfe der Sukzessionstheorie konnten die Könige Herrschaftsansprüche auf den Westen geltend machen. Seleukos I. knüpfte zudem an achämenidische Traditionen an (S. 477–480). Ihm war auch daran gelegen, durch die Geographen fundierte mental maps entwickeln zu lassen, um das Seleukidenreich zum Weltreich zu stilisieren (S. 479). Realpolitische Bedeutung erlangte die Vier-Reiche-Lehre dann im seleukidisch-ptolemäischen Konflikt (S. 492). Die späteren Seleukiden gingen diesen Weg nicht weiter: Antiochos III. verwendete weder den Titel ‚König von Asien‘, noch ist bei ihm ein Rückgriff auf die Sukzessionstheorie erkennbar (S. 480–486). Anschließend arbeitet Oellig die Bedeutung Babylons für die Entwicklung der Vier-Reiche-Lehre heraus. Die Seleukiden präsentieren sich als legitime Nachfolger der vorangegangenen Dynastien (S. 497) und nehmen aktiv an den religiösen Traditionen teil (S. 501). Zudem entwickelt sich eine pan-imperiale Ideologie, die auf dem Synkretismus der Götter beruht (S. 506). Obwohl Seleukos I. von den hellenistischen Historikern in eine Reihe mit den Königen der Vorzeit gestellt wird, gehen sie nicht von der ‚klassischen‘ Sukzessionstheorie aus (S. 511). Oellig kommt zu dem Schluss, dass die Vier-Reiche-Lehre im Diskurs der hellenistischen Zeit entstanden ist und ideologisch bedeutsam war (S. 514f.). Dieser Diskurs sei von kultureller Hybridität und Adaption geprägt gewesen (S. 519). Abschließend schlägt die Autorin noch einmal den Bogen zum Danielbuch und verortet die Entstehung der entsprechenden Passagen in hellenistische Zeit (S. 519–523). In der den Teil II abschließenden Zwischenbilanz (S. 524–529) räumt Oellig allerdings ein, dass eine Erweiterung des Schemas auf Assyrien-Medien-Persien-Makedonien in hellenistischer Zeit nicht direkt nachweisbar ist. Dennoch verortet sie dessen Entstehung im seleukidischen Kontext. Gleichzeitig habe es aber auch ähnliche Entwicklungen im Westen gegeben, wo Dionysios von Halikarnassos das Antigonidenreich als viertes Weltreich postulierte.

Teil III (S. 531–564) behandelt abschließend das seit der späten Republik bezeugte, um das Imperium Romanum erweiterte Schema. Der erste Beleg für das Fünfer-Schema ist Aemilius Sura, dessen Datierung jedoch unsicher ist (S. 536). Oellig geht auf das Konzept der römischen Herrschaft über den orbis terrarum ein, wobei die Entwicklung der römischen Herrschaft, Polybios als Erfinder des römischen Weltherrschaftskonzepts und die Entstehung des Begriffs orbis terrarum untersucht werden. Im Abschnitt 2.2 (S. 546–564) versucht Oellig, die Übernahme der Sukzessionstheorie in orientalische Kontexte einzuordnen, indem Pompeius und Antonius als hellenistisch geprägte Herrscherfiguren aufgefasst werden. Zu diesem Zweck wird die Karriere des Pompeius (un)verhätnismäßig ausführlich dargestellt, ein Vergleich mit Alexander gezogen und Antonius als hellenistischer Herrscher charakterisiert (S. 551–563). Einerseits datiert Oellig Aemilius Sura und das Aufkommen des um Rom erweiterten Schemas in die Zeit des Pompeius und Antonius (S. 551), andererseits behauptet sie aber, bei Antonius als hellenistischem Herrscher könne dieses Schema keinen Platz gehabt haben (S. 564). Da das Fünfer-Schema Assyrien-Medien-Persien-Makedonien-Rom als Gliederungsprinzip im Geschichtswerk des Pompeius Trogus eine große Rolle spielt, will Oellig darin einen Gegenentwurf zur augusteischen Geschichtsschreibung sehen. Die Bedeutung der Theorie wird für diese Zeit damit relativiert. Gerade die ‚römischen‘ Wurzeln der Sukzessionstheorie erscheinen dem Rezensenten für die Entwicklung des Diskurses in Spätantike und Mittelalter interessant, doch werden die Entstehungsumstände von der Autorin nur kurz angesprochen. Oelligs Schlussbemerkung hierzu lautet, dass die Wirkungsmacht der Sukzessionstheorie bis in die Gegenwart vor allem auf dem Buch Daniel beruhe (S. 582f.); eine Aussage, die vielleicht ein wenig zu kurz greift, ist doch Orosius ebenfalls stark von Ktesias und Pompeius Trogus beeinflusst.1

Die Studie schließt mit Zusammenfassungen in Deutsch (S. 565–583) und Englisch (S. 584–600) sowie dem wichtigen Hinweis, der die Beschäftigung mit der Sukzessionstheorie so komplex macht, dass nämlich die Abläufe und die Verarbeitung historischer Ablösungsprozesse viel komplizierter als jedes Schema sind (S. 567). Im Anhang finden sich ein Abkürzungsverzeichnis (S. 601–607), ein Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 608–690) sowie zwei Register (S. 691–714).

Oelligs Studie ist gut lesbar und weitgehend fehlerfrei. Die Argumentation ist nachvollziehbar und schlüssig. Gelegentlich erscheint allerdings die Wortwahl etwas zu manieriert, was einem Leser aus studentischen Kreisen das Verständnis erschweren dürfte. In ausführlichen Fußnoten bezieht die Autorin stets den Forschungsdiskurs und weiterführende Literatur ein. Die Argumentation wird durch die Präsentation der verwendeten Quellenstellen unterlegt; hervorzuheben ist hier insbesondere die ausführliche Auswertung der altorientalischen Überlieferung. Mit Blick auf den Umfang des Bandes hätte aber vielleicht auf den Abdruck der originalsprachlichen Fassung bzw. der Transkription bei den orientalischen Texten verzichtet werden können.

Oellig behandelt zwar die „antiken Wurzeln“ der Sukzessionstheorie, die Studie bietet aber weit mehr. Neben einer Einführung in die Geschichte der orientalischen Reiche zeigt die Autorin vor allem die kulturellen Kontakte und ideologischen Diskurse auf. So gelingt es ihr, ein klares Bild von den Eigenheiten der verschiedenen Reiche zu zeichnen und gleichzeitig die Wechselwirkungen zwischen Orient und Okzident herauszuarbeiten. Oellig präsentiert zahlreiche Informationen zu den verwendeten Texten und zeigt damit, dass die Sukzessionstheorie durchaus geeignet ist, die Grundlagen unserer Überlieferung besser zu verstehen. Die Bedeutung einzelner Abschnitte für die zentrale Fragestellung erschließt sich indes oft erst im Nachhinein. Hier wäre es notwendig gewesen, den Leser stärker an die Hand zu nehmen und ihn Schritt für Schritt durch die Argumentation zu führen. Die Studie als Ganzes gelesen, ergibt ein interessantes und vielschichtiges Bild einer strukturbildenden Idee, die stets im konkreten historischen Kontext verortet wird.

Anmerkung:
1 Adolf Lippold (Hrsg.), Paulus Orosius. Die antike Weltgeschichte in christlicher Sicht, Bd. 1: Buch I–IV, Zürich 1985, S. 267 u. 269; José Miguel Alonso-Núñez, Die Auslegung der Geschichte bei Paulus Orosius. Die Abfolge der Weltreiche, die Idee der Roma Aeterna und die Goten, in: Wiener Studien 106 (1993), S. 197–213.

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